Der Scherenschnitt heute in Mecklenburg-Vorpommern

Dem Vorbild Johanna Beckmann folgte Margarete Rhades (geb. 1926). Sie kam in Neubrandenburg zur Welt und wuchs hier zusammen mit acht Geschwistern in einer angesehenen und musisch interessierten Familie auf. Obwohl sie Johanna Beckmann nicht mehr persönlich kennen gelernt hatte, gehörten Berichte über die Künstlerin und vor allem deren Bücher zu ihren glücklichen Kindertagen. Bis heute musiziert Margarete Rhades leidenschaftlich gern. Ihr Cello ist fast immer mit unterwegs, wenn sie ihre Ausstellungen vorbereitet. Margarete Rhades besuchte die Oberschule für Mädchen in Neubrandenburg, flüchtete dann am Kriegsende im April 1945 mit ihrer Familie aus der Stadt und kam bis nach Lauenburg. Es folgte eine Krankenpflegerinnenausbildung, die Berufstätigkeit als Krankenschwester und schließlich ein Pharmaziestudium. Als Apothekerin nahm sie zu den Pflanzen von der wissenschaftlichen Seite her Verbindung auf, nachdem die "Kinder Floras" von Anfang an beliebte Motive ihrer Scherenschnitte waren. Darin ähnelt sie wieder Johanna Beckmann. In ihrem anspannten Berufsleben blieb für den Scherenschnitt nur wenig Zeit. Erst als die drei Kinder auf eigenen Füßen standen, sie nach dem Tod ihres Mannes allein war, suchte sie in künstlerischer Tätigkeit einen neuen Lebensinhalt zu gewinnen. Der Scherenschnitt und die Musik prägen jetzt ihr Leben. Margarete Rhades gestaltet ihre floralen Motive mit bewundernswerter Akribie, beweist genaue Artenkenntnis und vermittelt die Ästhetik der Natur. Geschickt stellt sie gelegentlich ihre Pflanzenschnitte unter einem Thema zusammen, beispielsweise "Die Kräuter der grünen Soße" oder "Hexenkräuter" und "Magische Pflanzen". Letztere Themen wurden bereits zweimal mit Erfolg im Museum "Alte Burg" Penzlin gezeigt, dem Spezialmuseum für Magie und die Geschichte der Hexenverfolgung in Mecklenburg. Margarete Rhades lebt in Langen (Hessen).

  Als heute aktive Scherenschnittkünstler leben in unserem Land u.a. Wiebke Steinmetz (geb. 1968) und Helmuth Leopoldi (geb. 1949) Für beide ist der Scherenschnitt eine geliebte Nebenbeschäftigung.
Aus mehreren Gründen ist man geneigt, die Künstlerin Wiebke Steinmetz als "Grenzgängerin" zu bezeichnen. Zwischen den Wohn-, Arbeits- und Ausstellungsplätzen - Amalienhof, Fürstenwerder, Wittenhagen - pendelt sie über die mecklenburgisch-brandenburgische Landesgrenze hin und her. Doch sie "pendelt" ebenso zwischen ihren Handwerkzeugen - zwischen Kettensäge und Scherenschnittschere bzw. Schnitzmesser. Mit dem gröberen Werkzeug legt sie die Grundformen ihrer Holzplastiken an, mit den feineren gestaltet sie ihre aktionsreichen Schattenbilder, die ganze Geschichten erzählen. `Ich komme ja vom Theater, deshalb sind meine Schnitte Schattenbilder, weniger klassische Scherenschnitte` erklärt sie.
In der Tat geht es in Wiebke Steinmetz` Schattenbildern so turbulent zu wie im Theater.
Da rodeln beispielsweise die "Flachländer" in Ermanglung größerer Erhebungen von Haus- und Turmdächern. Auch Radrennfahrer wollen hoch hinaus, denn sie besitzen mit ihrem Rad eine universell einsetzbare Maschine. Wenn "Königin kochen muss" ist wohl eher die Nachbarin, kaum Queen Elisabeth gemeint. In diese humorige Metaphorik sind die Inhalte ihre fröhlichen, wildbewegten Schattenbilder verwoben.
Die ausgebildete Tischlerin hat im Scherenschnittpapier, dem verwandelten Holz, ein neues Material gefunden, mit welchem sie kreativ experimentiert. Dabei klopft sie das traditionsreiche Schattenbild, das ja ganz eng mit dem aus dem asiatischen Raum stammende Schattentheater verwandt ist, auf seine Möglichkeiten hin ab, in originellen Sichtweisen unseren Alltag zu gestalten.
Wiebke Steinmetz wurde 1968 in Berlin geboren. Nach dem Abitur arbeitete sie als Kostümschneiderin in einem Berliner Puppentheater, sah sich in anderen Ländern und Erdteilen um, studierte dann in Berlin und Heidelberg, schulte zur Tischlerin um und lebt nun freischaffend im Norden, wie gesagt als Grenzgängerin im mecklenburgisch-brandenburgischen Landstrich um Feldberg und Fürstenwerder.

Wiebke Steinmetz, Bücher
  Helmuth Leopoldi wurde 1949 in Schwerin geboren. Nach dem Abschluss der 10. Klasse (heute Realschulabschluss) lernte er den Beruf eines Schrift- und Plakatmalers. Seine künstlerischen Neigungen konnte Helmuth Leopoldi durch den Besuch einer Spezialschule für Malerei und Grafik weiter entwickeln, wodurch er auch auf den Scherenschnitt aufmerksam wurde. Seit 1972 gestaltet er mit Papier und Schere, anfangs Ornamente, Wappen, Motive der mecklenburgischen Volkskunst und Schriftbilder, später Silhouetten, Rosetten und individuell gestaltete Schattenrisse. Jetzt bevorzugt er thematisch angelegte Scherenschnitte und farbige Collagen, wofür er sich von Menschen und Stimmungen inspirieren lässt. 1983 stellte er zum ersten Mal in Plau am See aus, sieben weitere Personalausstellungen folgten bisher. Helmuth Leopoldi blieb seinem Geburtsort treu. Als Mitarbeiter des Staatlichen Museums in Schwerin ist er tagtäglich von Meisterwerken der europäischen Malerei und Plastik umgeben.

Die jüngsten Scherenschnittkünstler aus unserem Bundesland, Schüler der Regionalen Schule in Burg Stargard, nahmen im Andersen-Jahr 2005 Margarete Rhades in ihre Mitte. Gemeinsam gestalteten sie "Scherenschnitt life" im Rahmen des Künstler-Projekts "Quo vadis?", mit welchem die musische Bildung der Schüler gefördert werden soll und zwar in den Genres Darstellende Kunst, Literatur und Bildende Kunst. Hans Christian Andersen Werk bot vielseitige Anknüpfungspunkte. Im Scherenschnitt in erster Linie durch des Dichters eigene Scherenschnittarbeiten, im Illustrationsschnitt durch die meisterlichen Arbeiten von Johanna Beckmann und Käthe Reine zu Andersens "Märchen".
Margarete Rhades vermittelte mancherlei Kniffe und Tricks, wie ein Scherenschnitt zu gestalten und - als filigranes, empfindliches Gebilde - zu behandeln ist. Hier waren jung und alt in einer kreativen Atmosphäre vereint, und eine Tradition wurde lebendig, die gerade in Burg Stargard auf inspirierende Weise mit der vielseitigen Künstlerin und "Meisterin des Scherenschnitt" Johanna Beckmann verbunden ist.

Frau Rades in Aktion